Gedanken zum Thema Inflation
25. November 2021
Eine Einschätzung von Karl-Heinrich Mengel
Wie sind die aktuellen Inflationsbefürchtungen vor dem Hintergrund einer zunehmend pragmatischen Geldpolitik einzuordnen?

Um der Frage nach aktuellen und zukünftigen Inflationsszenarien nachzugehen, wollen wir einen Blick zurück werfen.
- Sicherlich haben diejenigen recht, die auf die enorme Ausweitung der Notenbankbilanzen verweisen, bezogen auf die Zeit nach der Finanzkrise von 2008/2009. Befürchtungen, die damit einhergehenden Maßnahmen des Ankaufs von Staatsanleihen seien ungerechtfertigt gewesen und bildeten die Basis für ein Inflationsszenario, haben sich hingegen nicht verwirklicht und sind auch künftig nicht angebracht.
- Es bleibt jedoch zu konstatieren, daß die Weltwirtschaft in der Folge der Finanzkrise deutlich prosperierte und die befürchteten katastrophalen Bankenpleiten ausblieben („Dominoeffekt“).
- Auch hatten die Maßnahmen der Notenbanken keinerlei negative Folgen für Konsumentenpreise.
- Hingegen profitierten die Aktienkurse, insbesondere in den USA, was nicht zuletzt eine Kapitalbasis darstellte für die fulminante Entwicklung neuer Technologien durch die zahlreichen Tech-Unternehmen. Dies war auch volkswirtschaftlich außerordentlich wünschenswert.
- Die jüngst aufgeflammte kräftige Inflation in den USA und in Europa ist nicht in erster Linie auf Geldpolitik („Quantitative Easing“) zurückzuführen, sondern beruht auf vorübergehenden Kapazitäts- und Resourcenengpässen, wie sie nach Rezessionen öfter vorkommen. Ein ähnliches Phänomen war auch nach der Finanzkrise zu beobachten.
- Die aus unserer Sicht zum Teil rückabgewickelte Globalisierungstendenz der letzten 20 Jahre wird vermutlich auch weiterhin höhere Preisniveaus unterstützen. Mit „Rückabwicklung“ meinen wir einen Rückgang des freien Welthandels, der politisch gewollt ist. Hier denken wir an China, welches neuerdings die Kreislaufwirtschaft propagiert, aber auch an die USA und Europa, die durch Corona gelernt haben, dass Produktion im eigenen Land Sicherheitsvorteile bringen kann.
- Staaten und Notenbanken profitieren aktuell von einer gewissen Inflation, ein Weg reale Staatsschulden abzubauen und dies indirekt durch die Bürger bezahlen zu lassen. Da ein wesentlicher Teil der Inflation aktuell auf Knappheit auf der Angebotsseite beruht, könnten die Notenbanken mit einer restriktiveren Geldpolitik dem gar nicht begegnen. Dies gilt nur, wenn die Inflation vor allem konsumbedingt entsteht (nachfrageseitig).
- Die aktuell im Vergleich mit den Inflationsniveaus laxe Geldpolitik in der EU und in den USA wirkt konjunkturstimulierend und unterstützt die Aktienmärkte. Eine „galoppierende“ Inflation, getragen von einer Lohn-Preis-Spirale, sehen wir bisher nicht. Die Hauptursache der Kapazitätsengpässe werden im Laufe des kommenden Jahres weitgehend abgebaut werden.
Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass die Erfahrungen aus der Finanzkrise uns gelehrt haben, daß eine pragmatische, nicht ausschließlich auf Geldwertstabilität ausgerichtete Notenbankpolitik einen ausserordentlich konstruktiven Beitrag zur Normalisierung des Wirtschaftsgeschehens leisten kann.
Ein Extrembeispiel für das Gegenteil ist die Konjunkturentwicklung im Deutschland der frühen dreißiger Jahre, als eine restriktive Geldpolitik in eine schwere Wirtschaftskrise mündete. Zwar wurde damals Inflation vermieden, jedoch um den Preis einer wirtschaftlichen Depression, die zu Massenarbeitslosigkeit und am Ende zu Bankenpleiten führte.
Es sollte als Fortschritt betrachtet werden, dass eine nur der Geldwertstabilität verpflichtete Geldpolitik einem heute pragmatischeren Ansatz gewichen ist.
Mit freundlichen Grüßen
Karl-Heinrich Mengel
