Die Corona-Pandemie als Stresstest für die globalen Volkswirtschaften
12. November 2021
Eine Kapitalmarkteinschätzung von Karl-Heinrich Mengel
Die Corona-Pandemie erweist sich in all ihren Facetten zunehmend als unkalkulierbar. Wie bestehen die großen Wirtschaftsräume der Welt den unfreiwilligen Stresstest bislang?
Die Corona-Pandemie erweist sich in all in ihren Facetten zunehmend als unkalkulierbar. Erwähnt seien Aspekte wie unzureichende Impfquoten, die Frage der längerfristigen Wirksamkeit der Impfstoffe sowie unterlassene Maßnahmen seitens der Regierungen. Das Jahr 2021 ist jedenfalls in konjunktureller Hinsicht bisher enttäuschend verlaufen.
Umso interessanter ist eine vergleichende Betrachtung, wie die großen Wirtschaftsräume dieser Welt den unfreiwilligen Stresstest bislang bestehen.
Die Europäische Union, die USA und China repräsentieren fast die Hälfte des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Da sie unterschiedliche Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme haben, macht das den Vergleich noch interessanter. Die Ökonomie Chinas befindet sich zudem teilweise noch im Stadium eines Entwicklungslands. Das Pro-Kopf-Einkommen Chinas liegt sogar noch unter 20 % der US-amerikanischen Vergleichszahl und darüber hinaus auch weit niedriger als dasjenige aller westlichen Länder. Demzufolge ist das Wirtschaftswachstum für China eine politisch bedeutendere Größe als für die entwickelten Volkswirtschaften.
Die Corona-Pandemie ging im Jahr 2019 von der chinesischen Provinz Wuhan aus und erreichte Europa und die USA im Februar 2020. Die chinesische Administration unter Xi Jinping reagierte bekanntermaßen mit großflächigen Quarantänemaßnahmen, von denen in der Folge einige Millionen Einwohner der Region betroffen waren. Insofern hatte China mit Blick auf die Gegenmaßnahmen im Vergleich zu den USA und Europa einen Vorsprung und konnte spätestens im 2. Quartal 2020 die Rezession hinter sich lassen.
Als Aktieninvestor fragt man sich aber, wieso die chinesischen Börsen vor diesem Hintergrund in der Folge so viel schlechter abschnitten als die Aktienmärkte in den USA und in Europa?
Dies ist auch deswegen bemerkenswert, da die westlichen Staaten bis heute mit dem Corona-Virus zu kämpfen haben, mit ungewissem Ausgang. Ein Blick auf die jüngste Wirtschaftserholung der USA offenbart, dass die Wirtschaftsleistung aktuell sogar das Vorkrisenniveau übertrifft.
Ein aussagekräftiges Indiz für diesen Erfolg ist die außergewöhnliche Volatilität des US-Arbeitsmarkts während der Corona-Krise. In den ersten Monaten der Krise in 2020 explodierte die Arbeitslosigkeit auf etwa 15 %, um einige Monate später wieder in den einstelligen Bereich zurückzukehren. So bedauerlich das Schicksal des einzelnen betroffenen Individuums war, so attraktiv war es für US-Unternehmen, sich quasi ad hoc von Personalkosten trennen zu können, um ihre Existenz und Profitabilität zu erhalten. Darüber hinaus stellte die Biden-Administration umfangreiche Konjunkturpakete in Aussicht. Ein Volumen von 1,75 Bio. US-Dollar hat in diesen Tagen beide Kammern des Parlaments passiert.
Die Länder der Europäischen Union waren weniger erfolgreich hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Erholung. Von dem durch die EU beschlossenen Corona-Hilfspaket ist immer noch nicht ganz sicher, welches Land welche Summen erhält. Und der Arbeitsmarkt in Europa ist deutlich weniger flexibel als in den USA. Zudem ist die mit Deutschland größte europäische Volkswirtschaft erheblich vom Export abhängig und somit besonders von den Nachteilen des Corona-bedingten eingeschränkten Welthandels betroffen. Demzufolge liegt Deutschlands BIP derzeit noch unter Vorkrisenniveau.
Einen speziellen Fall stellt China dar. Viele Beobachter vermuteten einen aufgrund autoritärer Strukturen konsequent organisierten wirtschaftlichen Erholungskurs. Die ersten Quartale des Krisenjahres 2020 stimmten diesbezüglich zuversichtlich. Allein, sozialistisch inspirierte politische Zielsetzungen in Verbindung mit der zunehmenden Machtfülle des Staatspräsidenten und Parteivorsitzenden Chinas sollten einer kräftigen Konjunkturerholung im Wege stehen.
Die chinesische Führung schwenkte bereits im vergangenen Jahr auf einen dirigistischen Kurs ein, der nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Gesellschaft betrifft. Eine der zahlreichen Maßnahmen war eine Vorschrift für Jugendliche, nur zu begrenzten Zeiten und nur am Wochenende Computerspiele zu spielen, ein Fall von Dirigismus, der die Geschäftsinteressen der Anbieter von Videospielen, wie Tencent, unmittelbar beeinträchtigt.
Darüber hinaus wurde ein von Alibaba-Gründer Jack Ma geplanter Börsengang seines Onlinebezahldienstes Alipay staatlicherseits verhindert. Mit der Eindämmung der Kreditvergabe Ende Februar 2021 wurde zudem die der Wirtschaft zur Verfügung stehende Liquidität dermaßen eingeschränkt, dass der Immobilienmarkt ins Wanken kam.
Wenn also in China Konjunktur und Börsenkurse wenig erfreulich verliefen, so liegt die Ursache hierfür weniger in der Corona-Krise, als vielmehr in einer ideologisch geprägten, sozialistischen Wirtschaftspolitik, die darüber hinaus auch auf eine teilweise Abkoppelung von der globalen Wirtschaft ausgerichtet ist. Die Chinesen sprechen von „Kreislaufwirtschaft“. Sie ist letztlich eine teilweise Absage an das Konzept der Globalisierung und internationalen Arbeitsteilung. Angesichts der speziellen Situation Chinas als wirtschaftlicher Großmacht, die bestrebt ist, innenpolitisch größere soziale Verwerfungen zu verhindern, ist der neue Kurs sicherlich erklärbar. Für Investoren aus Europa oder den USA ist diese Wirtschaftspolitik jedenfalls wenig attraktiv.
Insgesamt hat sich das US-Wirtschaftssystem hinsichtlich seiner Resilienz gegenüber der Corona-Krise den wirtschaftspolitischen Modellen Europas und insbesondere Chinas als überlegen erwiesen. Dies ist vor dem Hintergrund der bis ins Jahr 2020 reichenden Präsidentschaft Donald Trumps nochmals beeindruckender.
Mit freundlichen Grüßen
Karl-Heinrich Mengel